PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: Zentrale: Telefax: Mobil: E-Mail: Internet: 0431/988-1503 0431/988-1500 0431/988-1501 0172/541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene.de Nr. 205.05 / 19.08.2005 Schleswig-Holsteins Eltern wünschen sich 75 zusätzliche Gesamtschulen ­ aber nur jedes vierte Kind bekommt einen Platz Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat eine Auswertung der Verfügbarkeit von Gesamtschulen auf Grundlage des Elternwillens erstellen lassen. Basis dieser Auswertung ist die Kleine Anfrage ,,Anmeldungen zu Gesamtschulen" (Drucksache 16/54), der Bericht zur Unterrichtssituation des Bildungsministeriums (Drucksache 16/170) und eine Umfrage bei den Gesamtschulen im Auftrag der Landtagsfraktion, an der sich knapp zwei Drittel der Gesamtschulen beteiligt haben. Zu dieser Auswertung erklären Karl-Martin Hentschel, bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dieter Zielinski, Vorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG), und Klaus-Dieter Harder, Vorsitzender des Landeselternbeirates Gesamtschulen: Die Auswertung ergibt, dass eine flächendeckende Erreichbarkeit von Gesamtschulen nur in den vier kreisfreien Städten und ihrem Umland, in den meisten Teilen der Kreise Pinneberg und Stormarn sowie in den drei Orten Eckernförde, Geesthacht und Trappenkamp gegeben ist. Insgesamt leben 35,3 Prozent der Schleswig-HolsteinerInnen im engeren Einzugsbereich einer Gesamtschule, dazu kommen weitere 17,7 Prozent im weiteren Einzugsbereich, aus dem nur vereinzelt SchülerInnen eine Gesamtschule besuchen. Im weiteren Einzugsbereich können in der Regel nur SchülerInnen mit einer Gymnasialempfehlung oder Geschwisterkinder einen der begehrten Plätze erhalten. Um den Willen der Eltern bzw. SchülerInnen Rechnung zu tragen, müssten in Schleswig-Holstein 75 zusätzliche Gesamtschulen eingerichtet werden. 1/5 Dieter Zielinski: ,,Die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule fordert aufgrund der Anmeldesituation den Ausbau des Elternwillens. Politische Präferenzen dürfen nicht dazu führen, dass Kinder und Jugendliche in ihren Bildungschancen beeinträchtigt werden. Wir wollen auch verbesserte Rahmenbedingung für die qualitative Weiterentwicklung der Gesamtschulen: Die Landesregierung soll sich bei der Kultusministerkonferenz dafür einsetzen, dass alle Regeln und Vorschriften abgeschafft werden, die einer autonomen Schulentwicklung im Wege stehen. Die Akzeptanz der Gesamtschulen in Schleswig-Holsteins ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sie alle Bildungsgänge integriert und alle Schulabschlüsse vergibt. Dieses Angebot der Gesamtschulen darf nicht eingeschränkt werden. ,, Klaus-Dieter Harder: ,,Die Anmeldezahlen belegen es erneut: die Gesamtschulen liegen mit ihrem Angebot bei den Eltern hoch im Kurs. Sie sehen die Chance für ihr Kind, wenn es mehr Zeit hat sich zu entwickeln, da der erreichbare Schulabschluss, erst sehr viel später festgelegt wird. Es entfällt die Angst vor der Nicht-Versetzung oder Schrägversetzung und dem damit zusammenhängenden Verlust der sozialen Bezüge. Die Anmeldezahlen sind aus Sicht des Landeselternbeirates Gesamtschulen erfreulich, denn sie zeigen, unsere Schulform wird zunehmend von den Eltern angenommen. Bedrückend ist allerdings die Hohe Zahl der nicht aufgenommenen Kinder. Nur die Hälfte der Anmeldungen konnten dieses Jahr wieder aufgenommen werden. Wir haben zu wenige Schulen, um den Wunsch nach einem Gesamtschulplatz zu erfüllen. Für die Schulen des Dänischen Schulvereins in Schleswig-Holstein sind die Weichen bereits gestellt: sie werden zügig, dem Elternwillen entsprechend in integrierte Gesamtschulen umgewandelt. Dies kann auch in Schleswig-Holstein durch die Umsetzung des Paragrafen 57 ,,Errichtung von Schulen" geschehen, deshalb sollte dieser endlich verwirklicht werden. Ohne wenn und aber!" Die Ergebnisse der Auswertung im Einzelnen: Die Gesamtschulen in Schleswig-Holstein konzentrieren sich in den kreisfreien Städten und im Hamburger Rand. Die gesamte Westküste hat keinen Zugang zu dieser Schulform. Dementsprechend unterschiedlich ist der Anteil der Kinder, die eine Gesamtschule besuchen. Zum Schuljahr 2003/4 wechselten auf eine Gesamtschule: mehr als 10 Prozent Flensburg 26,2 Stormarn Neumünster Lübeck Pinneberg Kiel 24,1 17,6 13,1 12,2 10,5 mehr als 5 Prozent Segeberg 6,5 Lauenburg Plön SchleswigFlensburg RendsburgEckernförde 6,1 5,6 5,5 5,4 unter 5 Prozent Osthol4,5 stein Steinburg 2,4 Dithmar0,1 schen Nordfries0,1 land 2 Es spricht alles dafür, dass die unterschiedlichen Zahlen überwiegend nicht auf das unterschiedliche Interesse an Gesamtschulen zurückzuführen sind, sondern auf die unterschiedliche Verfügbarkeit. Zum Schuljahr 2005/2006 haben in Schleswig-Holstein 29.399 SchülerInnen von der Grundschule in eine weiterführende Schule gewechselt. Davon leben unter der Annahme der Gleichverteilung 14.840 SchülerInnen im engeren oder weiteren Einzugsbereich einer Gesamtschule. 5.536 SchülerInnen wurden zum Besuch einer Gesamtschule angemeldet. Von diesen 5.536 SchülerInnen haben aber nur 2.769 SchülerInnen einen Platz an einer der 25 Gesamtschulen in Schleswig-Holstein bekommen. Rechnet man diese Zahlen auf das ganze Land hoch, dann bedeutet das, dass die Nachfrage nach Gesamtschulen viermal so hoch ist wie das Angebot. Das heißt: Um den Willen der Eltern bzw. SchülerInnen Rechnung zu tragen, müssten in Schleswig-Holstein 75 zusätzliche Gesamtschule eingerichtet werden. Bei sinkenden Schülerzahlen kann dies sinnvollerweise nicht durch den Bau neuer Schulen, sondern nur durch Umwandlung bestehender Schulen realisiert werden. Schaut man sich die Zahl der Anmeldungen an, dann stellt man fest, dass weit überproportional Kinder mit einer Realschulempfehlung vertreten sind, während die Kinder mit einer Gymnasialempfehlung deutlich unterrepräsentiert sind. Bei den Kindern, die von den Gesamtschulen tatsächlich angenommenen worden sind, sieht es dann anders aus, da mehr Kinder mit Gymnasialempfehlung , aber weniger mit Hauptschulempfehlung angenommen wurden. Hauptschulempfehlung 30,2% 38,3% 29,0% Realschulempfehlung 38,9% 46,3% 46,4% Gymnasialempfehlung 28% 14,0% 23,4% Alle SchülerInnen (2003/4) Anmeldungen auf GS (2005/6) Aufgenommen von GS (2005/6) Daraus kann man schließen, dass bei einem deutlich größeren Angebot an Gesamtschulen eine Drittelquotierung nicht mehr durchzuhalten wäre. Deswegen sind Bündnis 90/Die Grünen der Ansicht, dass eine Weiterentwicklung der Gesamtschule zu einer Gemeinschaftsschule mit stärkerer individueller Förderung die logische Konsequenz ist. Über die Motive der Eltern, in so großem Umfang ihre Kinder auf Gesamtschulen anzumelden, kann man natürlich nur spekulieren. Da aber die Zahlen gerade in den letzten Jahren angestiegen sind, liegt die Vermutung nahe, dass der Anstieg der Anmeldungen auch eine Folge der bildungspolitischen Debatte nach der PISA-Studie ist. Die bestehenden Gesamtschulen haben bei der PISA-Studie in der Regel nicht besser abgeschnitten als die Schulen des gegliederten Schulwesen. Aber sie sind weniger selektiv und eröffnen den Kindern mehr Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss. 3 Vieles spricht deshalb dafür, dass die hohe Zahl der Gesamtschulanmeldungen eine Abstimmung mit den Füßen ist, durch die die Eltern erhoffen, dass die Kinder bessere Chancen haben, gefördert zu werden, als im gegliederten Schulwesen. Zum schwarz-roten Koalitionsvertrag: Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierungskoalition steht auf Seite 27 folgender Abschnitt: ,,Die Koalitionspartner gehen für die Dauer der 16. Legislaturperiode von der Beibehaltung und Weiterentwicklung des gegliederten Schulsystems aus. Darüber hinaus kann es ein Nebeneinander von Schulen des gegliederten Schulwesens und Gemeinschaftsschulen geben. Dabei muss die Wahlfreiheit der Eltern bestehen bleiben." Da der Koalitionsvertrag Gemeinschaftsschulen als eine Weiterentwicklung der Gesamtschulen im Gegensatz zum gegliederten Schulsystem behandelt, kann davon ausgegangen werden, dass diese Aussage auch für die bestehenden Gesamtschulen gilt. Wenn die Koalition die Wahlfreiheit der Eltern, die im Koalitionsvertrag explizit betont wird, ernst meint, dann müsste sie in Schleswig-Holstein 75 zusätzliche Gesamtschulen einrichten. Das entspräche genau dem Elternwillen. Die Koalition hat aber den Elternwillen ausgebremst, denn auf Seite 28 finden sich folgende Sätze: ,,Die Gemeinschaftsschule entsteht auf Antrag des Schulträgers durch Umwandlung bestehender Schulen auf der Grundlage entsprechender pädagogischer Konzepte. Bestehende Gesamtschulen sollen sich schrittweise zu Gemeinschaftsschulen entwickeln." Elternwille hin ­ Elternwille her ­ es muss in jedem Fall ein Antrag des Schulträgers geben. Und der Fraktionsvorsitzende Wadephul hat in einem Interview mit unverblümter Klarheit gesagt, was er vom Elternwillen hält: Gar nichts. Angesichts schwarzer Mehrheiten in fast allen Kommunen im Land hat er die Sozialdemokraten, die in dem Votum gegen Gemeinschaftsschulen von Lübeck und Neumünster einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag sahen, locker auf die Kommunalwahlen 2008 verwiesen. Das Bekenntnis zum Elternwillen ist also ein hohles Versprechen ­ wenn gleichzeitig festgelegt wird, dass die Landesregierung die Entscheidung darüber an die Kommunen abgibt. Es bleibt also dabei, der Elternwillen ist in Schleswig-Holstein nichts wert. 4 Weiterer und engerer Einzugsbereich von Gesamtschulen Schwarz = enger Einzugsbereich Grau = weiter Einzugsbereich 5