Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 06.06.2007 Landtag aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn TOP 18 ­ Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Schleswig-Holstein - Sprachenchartabericht 2007 (Drucksache 16/1400) Rolf Fischer: Schleswig-Holstein ist Motor der europäischen Sprachenpolitik Die europäische Sprachencharta schützt die regionalen Sprachen und die Sprachen der Minderheiten, da Sprach- und Bevölkerungsgruppe identisch sind, führt Rolf Fischer aus. Sie ist das wichtigste Instrument für den Erhalt der historisch gewachsenen Sprachvielfalt in der Europäischen Union. Sie macht deutlich, dass der Wille zur europäischen Integration auf die regionalen Besonderheiten nicht nur Rücksicht nimmt, sondern dass deren Erhalt sogar ausdrücklich gewünscht ist. Schleswig-Holstein hat von 106 Verpflichtungen für seine Regionalsprachen 93 erfüllt oder teilweise erfüllt. Doch die Charta soll weiter umgesetzt und fortgeschrieben werden. Vertiefungen sollten im Medienbereich und bei den deutschen Sinti und Roma vorgenommen werden. Was in den meisten Ländern fehle, so Fischer, sei das Gesamtkonzept einer operativen und definierten Sprachenpolitik. Die Rede im Wortlaut: Um nicht auf dänisch, friesisch oder plattdeutsch beginnen zu müssen, folge ich dem Vorbild unseres Fraktionsvorsitzenden, der gern Zitate aus dem fernen Osten, selbst der sehr fernen Mongolei, benutzt. Lassen Sie mich also mit einem chinesischen Sprichwort beginnen: ,,Kultur ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit." Ein schöner Satz, denn wir wissen, dass ein wesentlicher Bestandteil der Kultur die Sprache ist. SchleswigHolstein Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2- Sie zu erhalten, zu fördern ­ insbesondere Sprachen, die von wenigen gesprochen werden ­ ist das Prinzip der Europäischen Sprachencharta, über deren Umsetzung wir heute reden. Die europäische Sprachencharta schützt die regionalen Sprachen und auch die Sprachen der Minderheiten, da Sprach- und Bevölkerungsgruppe identisch sind. Sie ist bislang das einzige spezifisch sprachenrechtliche Instrument auf der europäischen Ebene, d.h. sie ist das wichtigste Instrument für den Erhalt der historisch gewachsenen Sprachvielfalt in der Europäischen Union. Lassen Sie mich zuerst auf einen Punkt aufmerksam machen, der auch mit dieser Charta verbunden ist: Sie macht deutlich, dass der Wille zur europäischen Integration auf die regionalen Besonderheiten nicht nur Rücksicht nimmt, sondern dass deren Erhalt sogar ausdrücklich gewünscht ist; denn der Bau des europäischen Hauses funktioniert nicht ohne die regionalen Zimmer. Insofern ist diese Charta auch ein Beleg für das gewollte starke Europa der Regionen und der kulturellen Vielfalt. ,,In Politik und Gesellschaft", so Dr. Stefan Oeter vom Institut für Internationale Angelegenheiten in Hamburg, ,,ist man sich bewusst geworden, dass mit dem drohenden Verschwinden der Regional- und Minderheitensprachen ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes verloren zu gehen droht." Der Mann weiß, wovon er spricht, denn er ist das deutsche Mitglied im Sachverständigenausschuss des Europarates. Der vorliegende Umsetzungsbericht macht zweierlei deutlich: Schleswig-Holstein ist bezogen auf die Realisierung - mit Sicherheit führend unter den deutschen Bundesländern. Wenn man, wie bei uns geschehen, von 106 übernommenen Verpflichtungen für Dänisch, Nordfriesisch und Niederdeutsch im sog. Teil III ­ das ist der Abschnitt mit den konkreten Verpflichtungen - 93 als erfüllt oder teilweise erfüllt vorweisen kann, dann ist das erstmal ein Erfolg, den wir absolut begrüßen sollten. -3- Dank an die Minderheiten und die Niederdeutschen, die mit viel Elan diese Punkte realisieren; Dank aber auch an die Minderheiten- und Chartafachleute in der Landesverwaltung, die sich wirklich angestrengt haben, die Verpflichtungen umzusetzen. Und weil das so ist, konnte auch die Bundesrepublik mit dem Dritten Staatenbericht zur Charta, der in diesem Jahr veröffentlich und dem Ministerrat des Europarates vorgelegt wurde, sehr zufrieden sein. Schleswig-Holstein als Land mit den meisten Minderheiten und dem hohen Anteil von Niederdeutsch ist damit der Motor der europäischen Sprachenpolitik in Deutschland. Die Charta hat dynamischen Charakter, d.h. selbst mit der Umsetzung der angemeldeten Verpflichtungen ist ihr Geist nicht erfüllt. Die Bildungseinrichtungen, der öffentliche Raum, die Wirtschaft und die Medien, das sind die wichtigsten Bezugsbereiche der Charta, bleiben aufgefordert, sie weiter umzusetzen und fortzuschreiben. Der Bericht verweist darauf, dass die Landesregierung zurzeit keine Übernahme neuer Verpflichtungen aus Teil III anstrebt, sondern eine Vertiefung der bereits übernommenen. Das scheint mir auch tatsächlich angesichts der hohen Umsetzungsrate nachvollziehbar. Lassen Sie mich deshalb zwei Punkte nennen, die eine solche Vertiefung erfahren sollten: 1. Der Bericht macht deutlich, dass insbesondere im Medienbereich noch Defizite der Umsetzung bestehen. Das hat vor allem strukturelle Gründe, die sich in der Staatsferne des Rundfunks und der fehlenden Einflussnahme des Staates auf die privaten Medien begründen. Trotzdem sollten wir, wie es die Friesen in ihrem Beitrag zum FORUM vorschlagen, diese Frage im Ausschuss noch einmal vertiefen. Ein zweiter Grund wäre der Hinweis auf ein Forschungsprojekt: Zu begrüßen ist die angekündigte medienwissenschaftliche Untersuchung, die sich u.a. mit dem Emp- -4- fang dänischer Rundfunkprogramme befasst und die lt. Bericht bald abgeschlossen wird. Auch das wäre ein Thema im Ausschuss. 2. Der zweite Punkt ist die Situation der deutschen Sinti und Roma, die anders als die Dänen und Friesen im Teil II der Charta, der allgemeine Zielrichtungen enthält, aufgeführt werden. Es ist hier nicht zu diskutieren, ob diese Gruppe nicht auch in Teil III gehörte; da gibt es unterschiedliche Ansätze. Aber ich möchte schon einen Vorschlag ansprechen, der zu einer höheren Verbindlichkeit führen könnte. Um die jeweils eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, wurde im Jahr 2005 eine Rahmenvereinbarung zwischen der Landeregierung Rheinland-Pfalz und dem Landesverband der Deutschen Sinti und Roma geschlossen. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz sah in dieser Vereinbarung nicht nur einen wichtigen Schritt zum Schutz der Minderheit vor Diskriminierung, sondern auch zur Förderung des Erhaltes von Kultur, Identität und eben Sprache dieser Minderheit. Wir wissen, dass eine solche Rahmenvereinbarung nicht einfach zu formulieren ist, sie wäre aber nach meiner Meinung ein geeigneter Schritt zu mehr Verbindlichkeit und Schutz für diese Minderheit. Auch darüber sollten wir im Ausschuss noch einmal sprechen und uns vielleicht Rat aus Rheinland-Pfalz holen. Der Bericht macht deutlich, dass sowohl im Niederdeutschen als auch in der Förderung der anderen Minderheitensprachen weiterer Umsetzungsbedarf besteht - auch wenn die Lektüre des Berichts in seinen Einzelabschnitten ein umfassendes und sehr detailliertes Bild der Umsetzung darstellt. Trotzdem möchte ich noch einen letzten weiteren Aspekt ansprechen: Was in den meisten Ländern fehlt, das gilt für die betroffenen Bundesländer ebenso wie für die europäischen Nachbarn, ist eine definierte und operative Sprachenpolitik. Auf Dauer werden wir die Minderheiten- und Regionalsprachen nur fördern können, wenn wir ein -5- Gesamtkonzept, also eine koordinierte ,,Sprachenpolitik", von der Frühförderung bis zur Alltagsnutzung, entwerfen. Das ist ein hehres Ziel, das wir mit den Minderheiten und den Niederdeutschen konkret besprechen müssen, denn im Kern ist dies die logische Konsequenz, das Ziel der Charta. Dazu gehört übrigens auch die Verstärkung des Kontrollmechanismus; die kontinuierliche Überprüfung und Berichterstattung eines Sachverständigenausschusses des Europarates allein wird längerfristig nicht mehr ausreichen. Schon heute fällt dieser Kontroll- und Sanktionsmechanismus hinter den Stand der mittlerweile erreichten europäischen Menschenrechtskontrolle zurück. Doch das sind Punkte, die wir im Ausschuss vertiefen können. Das Fazit ist klar: Der Feind des Guten ist das Beste ­ dieser Bericht ist sehr gut, auch wenn er noch Punkte enthält, die es zu verbessern gilt. Die Vorlage des Sprachenchartaberichtes 2007 macht aber deutlich, dass Schleswig-Holstein sich um seine Sprachminderheiten kümmert und damit ein starkes Stück Europa verwirklicht.