PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 12: Anerkennung von im Ausland erworbenen Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Abschlüssen Telefon: 0431 / 988-1503 Fax: 0431 / 988-1501 Dazu sagt die sozialpolitische Sprecherin Mobil: 0172 / 541 83 53 von Bündnis 90/Die Grünen, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Angelika Birk: Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 331.08 / 11.09.2008 Putzfrauen mit Doktortitel Nach Schätzungen der Universität Oldenburg leben in Deutschland zurzeit allein rund 500.000 zugewanderte Akademiker und Akademikerinnen, deren Abschluss nicht an- erkannt wurde, und die deshalb unqualifizierten oder nicht ausbildungsadäquaten Tä- tigkeiten nachgehen. Diese Nichtanerkennung beruflicher Qualifikationen erschwert bzw. verhindert nicht nur individuell die Aufnahme einer dem Bildungsstand entsprechenden Erwerbstätig- keit, sondern bedeutet in volkswirtschaftlicher Perspektive, dass erhebliche Qualifika- tionsressourcen im Erwerbssystem brachliegen. Diese langjährige Fehlentwicklung untergräbt gleichzeitig auch die von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützten Versuche, gezielt technische und akademische Fachkräfte aus Nicht ­EU Ländern für Mangelberufe zu gewinnen. Diese Anwerbeversuche scheitern nicht zuletzt daran, dass sich im Ausland herumge- sprochen hat, wie sehr die Qualifikationen der schon früher nach Deutschland Einge- wanderten oder Geflüchteten mit Füßen getreten werden. Zitat Die Welt vom 11.09.2008: ,,Die Bundesrepublik Deutschland ist unter Einwandern zunehmend unbeliebt. [...] Das geht aus dem jetzt in Berlin vorgestellten International Migration Outlook der Organisa- tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) hervor. Thomas Liebig von der OECD mahnte, [...] dass in Deutschland auf Grund der komplizierten Anerkennung ausländi- scher Bildungsabschlüsse ungenutzt blieben" Wir GRÜNEN haben uns seit Jahren für offensive, humane und realistische Zuwande- rungsstrategien stark gemacht, darunter auch eine vernünftige Green-Card Lösung. Wir haben aber gleichzeitig auch immer wieder darauf hingewiesen, dass diejenigen, die schon hier sind, von Behörden, Kammern und Arbeitsagenturen nicht durch Ar- beitsverbote und Aberkennung ihrer Qualifikationen degradiert und ausgegrenzt wer- den dürfen, sondern im Gegenteil von diesen Institutionen bei der Suche nach qualifi- zierten Berufen unterstützt werden müssen. Im Dezember 2007 stellte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht- linge und Integration, Maria Böhmer erneut fest, dass nach wie vor Migrantinnen und Migranten in dieser Gesellschaft abgehängt sind. Nach wie vor entscheiden in diesem Land Geldbeutel und Herkunft über die Bildungskarriere und den weiteren Lebensweg. In der öffentlichen Debatte wird Migrantinnen und Migranten immer wieder vorgewor- fen, sich nicht integrieren zu wollen. Es würde ein Rückzug in Parallelgesellschaften vollzogen. Das Problem ist jedoch, dass ausländische Bildungswege und Diplome in Deutschland selten anerkannt werden. Ohne anerkannten Abschluss gelten auch hoch qualifizierte Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik als ungelernte Arbeitskräfte. Sie können dann in jedem Bereich eingesetzt werden und sind in der Regel völlig über- qualifiziert für ihre Tätigkeit: Bautechniker werden zu Anstreichern, Ingenieurinnen o- der Lehrerinnen zu Reinigungskräften und Haushaltshilfen. So ist auch deshalb die Arbeitslosenquote von Migrantinnen und Migranten hierzulan- de doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Migrantinnen und Migranten be- finden sich vorwiegend in so genannten prekären Arbeitsverhältnissen, zumeist im Niedriglohnbereich. 38 Prozent der Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger haben in diesem Land ei- nen Migrationshintergrund. Jede fünfte Person mit Migrationshintergrund muss Grundsicherungsleistungen in An- spruch nehmen. Bei Personen ohne Migrationshintergrund ist es nur jede vierzehnte. Während die Armutsrisikoquote in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund bei fast 12 Prozent liegt, liegt sie bei Migrantinnen und Migranten bei 28 Prozent. Kein Wunder, dass es Ihnen auch häufig nur gelingt, in nicht legalisierten Arbeitsplät- zen auf dem Bau, im Beherbungsgewerbe und privaten Haushalten, Geld zu verdie- nen. Nur mühsam und zögerlich bilden sich so bürgerliche Einwanderereliten, die für ihre Landsleute als Ansporn gelten können. Dies bestärkt die verdrehte Sichtweise von Armut und Schwarzarbeit als ursächlich ,,ethnisches" Problem, wodurch allgemeine Vorurteile verstärkt werden. Diese schlägt wiederum Migrantinnen und Migranten als Diskriminierung insbesondere auch bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzvergabe entgegen. Gesetzliche Vorgaben zu den Anerkennungsverfahren (Beruf) gibt es nur für Spätaus- siedler und Spätaussiedlerinnen, die einen Rechtsanspruch auf Anerkennungsverfah- ren in allen Berufen haben, sowie hinsichtlich bestimmter Berufe auch für Unionsbür- ger und Unionsbürgerinnen. In weiten Teilen sind Zuwandernde für die Anerkennung ihrer Qualifikationen auf den freien Markt und damit auf die Bereitschaft und Fähigkeit individueller Arbeitgeber an- gewiesen, fremdsprachige Zeugnisse zu akzeptieren und ausländische Ausbildungen zu bewerten. Problematisch ist dies ­ angesichts hunderter von Ausbildungsberufen im dualen Sys- tem ­ insbesondere bei Berufsausbildungen und Meisterabschlüssen. Erst recht schwierig ist es mit akademischen Abschlüssen. Nur als Beispiel: Wer in der Türkei oder in Russland als Lehrkraft mit langjähriger Un- terrichtserfahrung SchülerInnen zur Hochschulreife führte, dem wird in Schleswig Hol- stein gerade einmal das eigene Abiturzeugnis anerkannt. Gern werden solche Fach- leute allerdings im Nachhilfemarkt oder in den schulischen Ganztagsangeboten einge- setzt: Befristet und für ein geringes Honorar, versteht sich, - aber ohne ein komplettes neues Lehramtsstudium in Deutschland, bleibt ihnen der Schuldienst in Schleswig Holstein auch als Angestellte meist für immer versperrt. Dabei werden Sie als Brü- ckenbauer zwischen den Kulturen dringend gebraucht. Nun scheint in den letzten beiden Jahren das Bewusstsein der großen Koalition für dieses Problem gewachsen zu sein. Bund, Länder und die Wirtschaft haben sich im Nationalen Integrationsplan verpflich- tet, Anerkennungsverfahren und Maßnahmen zu optimieren. Die Länder ­und somit auch Schleswig-Holstein- betonen, dass im Ausland erworbene ,,Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüsse volkswirtschaftlich besser genutzt werden" müssen und in diesem Zusammenhang auch Teilanerkennungen und gezielte Nach- qualifizierungen sinnvoll wären. Im Dezember letzten Jahres haben sich zudem die Kultusministerkonferenz und Migrantenorganisationen auf Integrationsziele verständigt. Der Landtag hat darauf Bezug nehmend, vor einigen Monaten die Landesregierung einstimmig gebeten, im Bildungsbereich konkrete Integrationsziele zu verwirklichen und hierzu auch das Know-How von PädagogInnen mit Migrationshintergrund zu nut- zen. Unser aktueller Antrag konzentriert sich nun auf das spezielle Problem der Anerken- nung im Ausland erworbener Abschlüsse ­ nicht nur in pädagogischen, sondern in al- len Berufsfeldern. Wir fordern dabei nicht mehr, als auch schon im Integrationskonzept der Landesregie- rung vor einigen Jahren anvisiert wurde. Wegweisend ist der Leitfaden zur Anerken- nung ausländischer Schulabschlüsse und Berufsabschlüsse in Schleswig-Holstein, der nicht zufällig aus dem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen unter dem Label ACCESS entstand. Er gibt praktische Hilfestellung, aber zeigt gleichzeitig auch noch, wie viel zu tun ist. Wir wollen nicht länger auf Taten warten. Es ist an der Zeit, dass konkrete Ergebnisse sichtbar werden. ***