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18.11.11
16:31 Uhr
SPD

Ralf Stegner zu TOP 27a: Die Gefahr von Rechts nicht verharmlosen!

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 18. November 2011



TOP 27a, Dringlichkeitsantrag: Konsequenzen aus den Erkenntnissen über das Rechtsextremen-Trio aus Thüringen (Drucksache 17/2000, 17/2001, 17/2012)



Dr. Ralf Stegner:
Die Gefahr von Rechts nicht verharmlosen!


in Deutschland kommt die Gefahr wieder von rechts. Die immer deutlicher werdenden Umstände und Hintergründe der Mordserie lassen uns in einen Abgrund der Fremdenfeindlichkeit schauen. Unermessliches Leid haben diese Rechtsterroristen den Familien der Opfer zugefügt. Die Hass- und Propagandavideos der Täter sind abstoßend und ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen. Diese erwarten mit Recht jetzt völlige – schonungslose - Aufklärung. Dazu gehört auch, die immer wieder feststellbare Verharmlosung dessen, was da an Bedrohung von rechts offenbar wird, endlich zu beenden.
Nicht nur ihnen dürfte es unfassbar erscheinen, dass so eine Serie über ein Jahrzehnt unaufgeklärt bleibt. Das ist erschreckend. Und es ist notwendig, begangene Fehler zu finden. Dabei sind Fakten wichtig. Es gibt schon jetzt zu viele Gerüchte und Fehlbehauptungen. Wir brauchen Aufklärung darüber, wo und warum es Pannen gegeben hat. Wobei mir „Pannen“ eigentlich als viel zu harmloses Wort erscheint angesichts der Tatsache, dass eine Verfassungsschutzbehörde beobachtete Vorgänge wie den Bau von Rohrbomben offenkundig nicht an die für Gefahrenabwehr Zuständigen – die Landespolizei oder das BKA – weitergegeben hat. Das ist 1998 gewesen. Was hätte seitdem alles verhindert werden können? 2



Es hat möglicherweise eklatante Fehler auch auf Seiten von Ermittlungsbehörden gegeben, weniger scheinen Rechte und Befugnisse gefehlt zu haben. Warum wurde die Erkenntnis des Verfassungsschutzes, dass die beiden Täter Rohrbomben bauten, nicht - wie gesetzlich vorgegeben - an die zuständige Polizei weitergegeben? Warum wurde ein Haftbefehl nicht vollzogen? Welche Rolle hat die zuständige Staatsanwaltschaft gespielt, die Herrin des Verfahrens war?
War das nur menschliches Versagen? Liegt es vielleicht an bestimmten Strukturen, an Methoden? Was gab es an vorherrschenden Denkmustern? Wurden rechtsextremistische Hintergründe ignoriert, nicht ernst genommen oder ausgeblendet? Wurde gar, wie vereinzelt unterstellt wird, heimlich sympathisiert? Schon bei einer solchen Frage stockt einem fast der Atem. Müsste man eine solche Frage bejahen, hätten wir eine fulminante Staatskrise.
Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Welche Rolle der zur fragwürdigen Berühmtheit gewordene ehemalige Leiter des thüringischen Verfassungsschutzes? Gerade in diesem Stadium der Ermittlungen sollten wir uns vor verdeckten Anschuldigungen oder pauschalen Unbedenklichkeitsbescheinigungen hüten. Auch bitte vor Besserwisserei aus der Ferne, die wir uns hier ebenso verbitten würden, wenn es um Schleswig-Holstein ginge. Auch etwaige notwendige gesetzliche Änderungen, zu denen ich noch kommen werde, dürfen nicht von den Ursachen in diesem konkreten Fall ablenken.
Zumindest ärgerlich, um es höflich zu sagen, finde ich eine kaum verdeckte Unterstellung des Herrn Innenministers nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Im Schleswig-Holstein-Magazin des NDR sagte er am Dienstag zur Frage von Verwicklungen des hiesigen Verfassungsschutzes in diese Vorgänge: „Meine derzeitige Erkenntnislage schließt das aus. Ich war zu der Zeit … (in den 90er Jahren), als die Dinge geschehen sind, nicht Innenminister, das waren Sozialdemokraten. Ich gehe davon aus, dass es bei uns eine solche Verquickung nicht gegeben hat, das wird man im Einzelnen sehen, jedenfalls werden das die Recherchen auch zeigen.“
Es gehört schon ein gutes Maß an Unverfrorenheit dazu, anzudeuten, dass ausgerechnet Sozialdemokraten auf dem rechten Auge blind gewesen sein könnten und ich weise das für die Kollegen Hans-Peter Bull, Ekkehard Wienholtz, Klaus Buß ebenso zurück wie für Lothar Hay und mich selbst. 3



Sie wissen sehr genau, dass wir Sozialdemokraten in dieser Hinsicht eine konsequente politische Linie und Tradition immer vertreten haben. Auch bei der Ausgestaltung unseres Verfassungsschutzgesetzes haben wir sehr klare Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten durch das Parlamentarische Kontrollgremium abgesichert und uns anderen Vorschlägen – noch in der Großen Koalition – immer verweigert.
Ich plädiere dafür, endgültige Bewertungen erst nach dem Abschluss der Ermittlungen zu ziehen und in Erinnerung zu behalten, dass Vollzugsdefizite von Gesetzen nicht mit schärferen Gesetzen behoben werden können und sollten. Wer Gesetze für Extremsituationen macht, macht extreme Gesetze.
Fakt ist: eine absolute Sicherheit gibt es nicht – oder, wie ein taz-Redakteur feststellte: Der von einigen befürchtete totale Überwachungsstaat existiert nicht. Das ist gut so. Aber manchmal erscheint der Preis, den wir dafür zahlen müssen, sehr hoch. Es gilt also, eine neue Balance zu finden, wobei es nicht unbedingt ein Mehr an Überwachung sein muss, sondern vielleicht doch eher eine andere und bessere Art der Prävention und der Strafverfolgung das Ergebnis der Analysen sein werden.
Auch die gesellschaftliche Debatte über Toleranz und das Klima in unserem Land gehört auf die Tagesordnung. Was ist noch Meinungsfreiheit und was ist Ausländerhetze und rechte Propaganda, die verfolgt werden muss? (Ich denke da an dieses unselige Hassplakat der NPD „Gas geben“ vor einer jüdischen Einrichtung.) Wie können wir die demokratischen Strukturen in unserem Land stärken, wie Jugendliche ertüchtigen gegen den Virus der Rattenfänger von rechts? Das ist auch eine Frage der Mittel für entsprechende Programme in Ländern und Kommunen – Frau Bundesministerin Schröder.
Es gilt, die Gefahr von Rechts bei all den Blicken, die der militante Islamismus gewöhnlich auf sich zieht, im Auge zu behalten und nicht zu verharmlosen. Es gilt – unabhängig von diesem Fall -, auch einige wichtige innenpolitische Weichenstellungen vorzunehmen:
1. Ein durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gut vorbereitetes und erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die NPD. 4



2. Eine restriktive, verfassungskonforme und effektive Regelung zur Verwendung von Telefonkommunikationsdaten bei schwersten Straftaten.
3. Eine bundesweite Verbunddatei über rechtsextremistische Straftäter, wie wir sie schon für Gewalttaten im Sportbereich haben.
4. notwendige Anpassungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
Das Verbot der NPD ist ganz gewiss kein Allheilmittel. Es zeigt aber zum einen die gesellschaftliche Ächtung rechtsextremen Gedankengutes und vor allem verhindert es Nazipropaganda mit Steuermitteln und die finanzielle Unterstützung dieser rechtsextremen Partei. Die hessische Landesregierung muss ihren Widerstand dagegen endlich aufgeben und das Land Schleswig-Holstein sollte sich der Mitarbeit bei den Vorbereitungen nicht länger entziehen.
Die sog. Vorratsdatenspeicherung (ich halte den Begriff für irreführend) ist EU-Recht und endlich in einem vernünftigen Rahmen für Deutschland gesetzlich umzusetzen. Ich kann mir vorstellen, dass ein Zugriff auf solche bei Unternehmen gespeicherten Verbindungsdaten auf maximal drei Monate rückwirkend begrenzt wird, dass der Zugriff alle Vorgaben des BVG strikt beachtet, durch den Richtervorbehalt abgesichert wird und nur bei schwersten Straftaten gegen Leib, Leben und sexuelle Selbstbestimmung angewendet werden darf, natürlich nicht zu kommerziellen Zwecken. Je schärfer der Eingriff, desto höher die Hürde. Das ist unser Prinzip.
Mit einem bundesweiten Datenpool, einer Verbunddatei „Gewalttäter rechts“ könnte zum einen die notwendige bundesweite Zusammenarbeit gesichert werden (zumal manches ja leicht örtlich oder regional falsch eingeordnet werden kann, wie wir wissen - Stichwort: Schutzgeld oder Mafia-Vermutung in München) und bundesweiten rechtsextremistischen Vernetzungen Rechnung getragen werden. Die Abschaffung von Verfassungsschutzbehörden der Länder ist dagegen Unsinn, denn organisatorische Schnellschüsse und Zentralisierungsvorstellungen aus Bundessicht lenken von den deutlichen verbesserten Zusammenarbeitsnotwendigkeiten ab.
Es wird auch eingestanden, dass wir keineswegs nur vom islamistischen Terror bedroht sind. Ich halte einen solchen Datenpool für rechtsextremistische Gewalttäter auch deswegen für wichtig, weil so auf die spezifischen Hintergründe, Muster und Verhaltensweisen Rechtsextremer 5



eingegangen wird und nicht durch die reflexhafte Reaktion – „Wir müssen da aber auch die Linksextremisten erfassen“ – eine Vermischung stattfindet, die die Bekämpfung rechtsextremer Straftaten erschwert. Wir brauchen auch verbesserte Rahmenbedingungen im Bundesverfassungsschutzgesetz für die Anwendung der NADIS-Datei.
Alle diese Maßnahmen hätten diese Anschlagserie wohl nicht verhindern können. Manche waren schon vorher notwendig, konnten politisch aber bisher z. T. nicht durchgesetzt werden. Sie sind aber nicht zuletzt ein wichtiges Signal in Richtung der Familien und der verunsicherten Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, dass wir die Gefahr ernst nehmen und dem menschenverachtenden Gedankengut entschieden entgegentreten. Auch deswegen sind sie wichtig.
Entscheidend für mich bleibt die gesellschaftspolitische Herausforderung, der wir uns zu stellen haben. Generell gilt: Wir müssen die Kette von Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rechtsextremismus unterbrechen, bevor sich hier dauerhaft rechtsterroristische Strukturen etablieren können, die aus diesem Sumpf hervorgehen.
In Deutschland darf es nie wieder so sein, dass Menschen vor alten oder neuen Nazis Angst haben müssen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.