Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
18.11.11
16:49 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP47a - Dringlichkeitsantrag zum rechtsextremen Terrorismus

Presseinformation
Kiel, den 18. November 2011 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP47a Dringlichkeitsantrag zum rechtsextremen Terrorismus Drs. 17/2000, 17/2001, 17/2012


In den letzten Tagen hören, sehen und lesen wir ständig darüber, und doch ist es wohl noch gar
nicht richtig in die meisten Köpfe gedrungen. Es sprengt unsere Vorstellungskraft, dass
neonazistische Terroristen 13 Jahre lang mordend durchs Land ziehen, ohne sich zu ihren Taten
zu bekennen und ohne von den Behörden aufgriffen zu werden – und das obwohl die Personen
seit 1999 zur Fahndung ausgeschrieben sind. Schlimmer kann es kaum noch werden. Für
Deutschland dürften diese Tage sich in der Nachschau als eine Zäsur erweisen, wie sie der
September 2001 in der Frage des islamischen Terrorismus gewesen ist.


Der Schock sitzt tief und schnell hat wieder innenpolitischer Aktionismus um sich gegriffen. Eine
Woche nach der Veröffentlichung sind längst Patentlösungen auf dem Markt. Bei allen Debatten
über Behörden, Register und Fahndungsmethoden darf aber nicht aus dem Blick geraten, worum
es hier eigentlich geht. Es geht um unschuldige Menschen, die kaltblütig von ideologisch
verblendeten Psychopathen ermordet wurden. 2
Es ist unerträglich, dass Menschen, die sich dafür entschieden haben, in Deutschland zu leben,
jetzt Angst haben. Niemand soll sich in diesem Land weniger sicher fühlen müssen, weil er nicht
in diesem Land geboren ist, weil er anders aussieht oder anders heißt als die Mehrheit in diesem
Land. Und niemand soll befürchten müssen, dass er für seine eigene Ermordung mitverant-
wortlich gemacht wird, weil die Polizei keine andere Erklärung finden kann als dass er Ausländer
ist – dass die planlosen Ermittlungsbehörden auf das Stereotyp von den Schutzgelderpressern
vom Bosporus zurückgreifen, die Dönerverkäufer ausnehmen. Wir wollen in Zukunft alles dafür
tun, dass Einwanderer und ihre Nachfahren in Deutschland genauso sicher leben wie alle
Anderen. Das ist die politische Botschaft, die in der Hitze des technokratischen Gefechts um
Parteienverbote und Register nicht untergehen darf.


Gerade weil in diesem Fall so furchtbar viel schief gelaufen ist und die Täter sich so viel anders
verhalten haben, ist es falsch, dass nun mit den bewährten politischen Reflexen reagiert wird,
bevor eine Analyse erfolgt ist. Die beste Garantie dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt ist
nicht eine schnelle, sondern eine wohlüberlegte politische Reaktion. Die Politik muss jetzt nicht
rohe Stärke sondern Geschicklichkeit zeigen und erst einmal Fragen stellen. Wir brauchen eine
neue Debatte über Effizienz und Ausrichtung unseres Verfassungsschutzes. Wir müssen uns
fragen, wie viel die Leute, die unser Grundgesetz schützen sollen, eigentlich von dem ganzen
verstanden haben. Wir brauchen auch eine Debatte darüber, wie die Verzahnung von Polizei-
und Verfassungsschutzarbeit verbessert werden kann. Und: Wir müssen uns nicht zuletzt
abermals fragen, was wir tun müssen, um das rechte Gedankengut allgemein einzudämmen.


Was wir aber überhaupt nicht brauchen, ist die reflexartige Wiederbelebung alter Patenrezepte.
Es bringt den verunsicherten Einwandererfamilien nichts, wenn diejenigen, die schon immer die
NPD verbieten wollten, jetzt das NPD-Verbot als Lösung propagieren. Es hilft ihnen nicht, wenn
Politiker, die immer schon für die Vorratsdatenspeicherung waren, diese wieder einmal als
Heilmittel fordern, oder wenn jene, die den Verfassungsschutz noch nie mochten, ihn jetzt
abschaffen wollen. Es geht jetzt auch nicht darum, den Informationshunger der Medien zu 3
stillen oder den stahlharten Politiker zu markieren, es geht darum dieses Problem langfristig zu
lösen. Auch für den SSW ist unerträglich, dass der NPD im politischen Raum die Möglichkeit
gegeben wird, ihre nazistische Propaganda loszuwerden. Wir glauben aber nicht daran, dass wir
mit einem NPD-Verbot diesen braunen Sumpf austrocknen und solche Taten verhindern können.
Dies gilt umso mehr, als die Thüringer Terroristen sich ja nicht vollkommen unsichtbar gemacht
haben, obwohl sie seit über zehn Jahren polizeilich gesucht wurden. Es geht jetzt um den Grad
an Aufmerksamkeit, den die Sicherheitsbehörden den Rechtsextremisten widmen, und es geht
um viel mehr Menschen, die die Mörder unterstützt, gedeckt und nicht verpfiffen haben. Rechtes
und fremdenfeindliches Gedankengut steckt in viel mehr Köpfen als nur dem harten Kern der
Neonazis, deshalb lässt sich dieses Problem nicht durch Register oder ein Parteienverbot lösen.


Die vorliegenden Anträge enthalten viele richtige Fragen. Es ist wichtig aufzuklären, ob wir in
Schleswig-Holstein auch Leichen im Keller haben, wie es die Grünen wollen. Es ist richtig, nach
den allgemeinen Kampagnen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu fragen,
wie es die SPD macht. Es ist berechtigt, einen transparenteren staatlichen Umgang mit der
Extremismusbekämpfung zu erwägen, wie es die Linke macht. Die Antworten sollten wir mit der
gebotenen Gründlichkeit im Innen- und Rechtsausschuss suchen.