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18.11.11
17:46 Uhr
B 90/Grüne

Luise Amtsberg zu Rechtsextremismus

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 47a – Dringlichkeitsantrag Rechtsextremismus Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsex- tremismus Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Luise Amtsberg: Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 643.11 / 18.11.2011


Rechtsextremismus endlich ernst nehmen
Zehn Menschen haben ihr Leben verloren. Nicht weil sie in einer Mafia waren, nicht weil sie kriminell waren oder mit Kriminellen zu tun hatten. Nicht weil sie etwas falsch gemacht haben. Sie haben ihr Leben durch rechten Terror verloren.
Diese Menschen sind tot, weil sie nicht in die kranke Denkweise von drei wahnsinnigen Neonazis gepasst haben. Sie mussten sterben, weil es eine Realität gibt, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Eine Realität, die vielen Menschen in Deutschland einfach nicht bewusst ist. Eine Realität, in der Menschen prügeln, jagen und töten, angetrieben von einer diffusen menschenverachtenden Weltanschauung, die rassistisch, antisemi- tisch, homophob oder obdachlosenfeindlich ist.
Eine Realität, meine sehr verehrten Damen und Herren, die nach der grausamen und unvorstellbaren Brandanschlagsserie auf Asylbewerberheime in Deutschland, in des- sen Folge auch in Schleswig-Holstein viele Menschen zu Tode kamen, auch heute noch ihr unerträgliches Gesicht zeigt.
Wir denken an die Opfer und an die Hinterbliebenen, an die Familien und Freunde die- ser Menschen, die sich über Jahre hinweg die Frage stellen mussten, was dieser Tod für Gründe gehabt haben könnte. Wir sind jetzt bei ihnen, in einer Zeit, in der die Bruta- lität und der Fanatismus, der sich dahinter verbirgt, offen zu Tage treten.
Die Empörung und die Wut über die deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, auch die damit einhergehende Angst, sind so sehr nachvollziehbar. Es ist offensichtlich: Seite 1 von 3 Strukturen haben versagt und vielleicht haben sie sich sogar schuldig gemacht.
Was also ist unsere Aufgabe? Mit Blick auf Deutschland und die betroffenen Bundes- länder müssen wir dafür sorgen, dass die Vorgänge lückenlos aufgeklärt werden. Wir müssen die Frage beantworten, welche Rolle die Verfassungsschutzämter gespielt ha- ben. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rolle die so genannten Vertrauensleute in diesem System innehaben und – sollten sich die bisherigen Vermutungen in Wahr- heit wandeln – müssen wir uns der Frage stellen, was uns eine Institution bringen soll, die mit möglicherweise fragwürdigen Methoden, fragwürdige Ergebnisse erzielt – eine Institution, die den Schutz der Demokratie in ihrem Namen trägt.
Das sind die Fragen, zu deren Lösung wir beitragen müssen, um unsere Demokratie zu schützen und, vor allen Dingen, glaubwürdig zu machen. Nie wieder darf es vorkom- men, dass so sehr in die falsche Richtung ermittelt wird, dass es für kriminelle Neonazis möglich war, 13 Jahre unterzutauchen, ohne den Wohnort zu wechseln und in der Zeit weitere Menschen zu ermorden und Bomben zu bauen.
Und dieses ist auch der Hintergrund unseres Dringlichkeitsantrages gewesen. Es geht nicht darum mit dem Finger auf andere zu zeigen, zu sagen, dass wir es doch schon immer gewusst haben. Es geht darum, für Schleswig-Holstein zu klären, ob wir in der Vergangenheit dem Reflex erlegen sind, rechte Gewalt nicht ernst genug genommen zu haben, Opfer von rechter Gewalt nicht als solche erkannt zu haben. Dieses ist vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der vergangenen Woche unsere Verpflichtung und unsere Aufgabe. Ich danke daher Ihnen, Herr Minister Schlie, für Ihren Bericht, aber auch allen Fraktionen hier im Landtag für die Zustimmung zu diesem dringlichen The- ma.
Ich habe von unseren Aufgaben gesprochen: Und wenn ich darüber nachdenke und mir die Debatte in Deutschland anschaue, dann komme ich aus der Verärgerung gar nicht mehr heraus. Auch wenn wir eigentlich noch nicht wissen, was konkret passiert ist, wer darin verwickelt ist, möglicherweise noch nicht einmal, wie viele Opfer es tatsächlich gibt, will sich die Politik unbedingt schon jetzt auf Antworten zu diesen Fragen festle- gen. Abzug der V-Leute, NPD-Verbot, Vorratsdatenspeicherung, Zentralregister, Ter- rorabwehrzentrum. All das soll Abhilfe schaffen und das Problem lösen.
Ich beginne mich zu wundern. Denn mit diesem Kurs machen wir den zweiten Schritt vor dem ersten. Wir behandeln immer nur das Symptom, nie die Ursache.
Zwei Antworten können wir nämlich schon geben: Haben wir zu wenig gegen Nazis ge- tan? Ja - offensichtlich! Müssen wir genau deswegen die zivilgesellschaftlichen und demokratiebildenden Maßnahmen ausbauen? Ja, müssen wir! Weil wir nur so verhin- dern können, dass Menschen die NPD wählen, Kameradschaften beitreten oder sich radikalisieren und Gewalt anwenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen führen Sie sich bitte einmal vor Augen, dass in West- deutschland proportional zur Einwohnerzahl die meisten rechten Gewalttaten in 2 Schleswig-Holstein verübt werden. Wir wissen, dass wir mehr als 1300 Rechtsextreme in Schleswig-Holstein haben. Die Hälfte davon gewaltbereit.
Und was macht Bundesfamilienministerin Schröder? Sie weicht nicht von dem Vorha- ben ab, die Programme gegen Rechts weiter zu kürzen. Im Gegenteil, sie wirft uns, der Opposition vor, dass wir mit dieser Forderung (ich zitiere) „einen billigen tagespoliti- schen Geländegewinn“ erzielen wollen. Das verschlägt mir die Sprache. Aber ich sage Ihnen, diesen Schuh ziehe ich mir nicht an.
In der vergangenen Plenarsitzung haben wir über Rechtspopulismus in Europa und Deutschland debattiert und ich hatte den Eindruck und dass wir inhaltlich keinen Dis- sens über die Bedeutung und Reichweite dieses Themas haben. Sie Herr Kubicki und Herr Minister Schlie haben sich in Ihrem Redebeitrag sogar auf mich bezogen und trotz allem, haben Sie den Wunsch nach einer Anhörung im Ausschuss zu diesem Thema ohne Grund abgelehnt. Das darf uns kein zweites Mal passieren.
Das Projekt „Mut gegen Rechte Gewalt“ hat jüngst einen Bericht über die Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt seit 1989 herausgegeben. Es sind 182 Menschen, die zu Tode gekommen sind, dokumentiert. Ich lege jedem von Ihnen nahe, sich diesen Bericht, so beklemmend er auch ist, einmal anzuschauen.
Die Tatsache, dass Menschen in Deutschland aufgrund ihrer Herkunft oder der Her- kunft ihrer Familien zu Tode kommen, macht betroffen, sie lässt einem übel werden, mich macht es vor allem traurig und wütend und mit Blick auf unsere Geschichte ist der Begriff „Scham“ an dieser Stelle viel zu schwach. Für die Opfer kommt jede Hilfe, jede Erkenntnis und jedes Bedauern zu spät.
Was hier in Deutschland in den vergangenen Jahren geschehen ist, ist unverzeihlich. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben es in der Hand diesen Satz in zehn Jahren nicht wiederholen zu müssen. Manchmal ist es sehr schwer, den eingeschlage- nen politischen Kurs wie beispielsweise zur Extremismusklauseln wieder zu verlassen.
Aber mit Blick auf die derzeitige Extremismuspolitik und die Erkenntnisse aus den ver- gangenen Tagen können wir sehen, dass dieser Weg der falsche ist. Lassen Sie uns daran gemeinsam etwas ändern.
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