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21.05.15
17:54 Uhr
SSW

Flemming Meyer: Stundenzettel sind keine Erfindung des Mindestlohngesetzes, sondern jahrzehntelange Praxis

Presseinformation Kiel, den 21. 5. 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Flemming Meyer TOP 21 u. 45 Bürokratiekosten für Schleswig-Holsteins Wirtschaft Drs. 18/2897, 2975

Stundenzettel sind doch keine Erfindung des Mindestlohngesetzes, sondern in
den allermeisten Betrieben jahrzehntelange Praxis


Erst letzte Woche stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass auch im Krankheitsfall der
Mindestlohn zu gelten habe. Der Hintergrund: eine Mitarbeiterin einer
Weiterbildungseinrichtung war erkrankt und ihr Arbeitgeber wollte ihr für die Stunden, die sie
krankheitsbedingt nicht arbeiten konnte, nur einen niedrigeren, betriebsgebundenen
Fantasielohn zahlen. Das ist die Realität in Deutschland. Betriebe versuchen den Mindestlohn zu
unterlaufen. Ohne Dokumentationspflicht können sie das auch. Darum führt an der
Dokumentation der Arbeitsstunden auch kein Weg vorbei.
Aus diesem Einzelfall aus Niedersachsen kann man keinen Generalverdacht gegen alle
Arbeitgeber konstruieren, aber man kann im Gegenzug eben auch nicht davon ausgehen, dass
mit der Einführung des Mindestlohnes nun automatisch alle Arbeitgeber Mindestlohn zahlen.
Darum brauchen wir die Dokumentationspflicht, die übrigens so neu gar nicht ist. Stundenzettel
sind doch keine Erfindung des Mindestlohngesetzes, sondern in den allermeisten Betrieben 2
jahrzehntelange Praxis. Es gibt also gar kein Bürokratiemonster, das der Mindestlohn erst
erschaffen hat. Das mag in Fernsehtalkshows ziehen, aber diese Nummer hat mit der Realität
unserer Betriebe herzlich wenig gemein. Ich halte es für Panikmache, wenn sich der
Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA, Stefan Scholtis, schon drei
Wochen nach Einführung des Mindestlohns im Januar in der Zeitung mit den Worten zitieren
lässt, dass die Betriebe nicht mehr zum Kerngeschäft kämen. Ich warne vor so einer Panikmache
und Hysterie, weil sie absolut kontraproduktiv ist. Der Mindestlohn gefährdet mitnichten das
Kerngeschäft der gastronomischen Betriebe. Das tut nur ein schlechter Service. So wird ein Schuh
daraus.
Wenn Scholtis im gleichen Atemzug meint, dass neuerdings auch die Pausen festgehalten
werden müssten und es demzufolge nicht mehr möglich sei, in Spitzenzeiten das Abbummeln
von Pausen auf die Folgetage zu verschieben, ohne das Risiko einer Falschaufzeichnung
einzugehen, dann merkt man, woher der Wind weht. Das angebliche Bürokratiemonster
Mindestlohn muss also dafür herhalten, um die schlechten Arbeitsbedingungen im Gastro-
Bereich zu rechtfertigen. Pausen müssen aber sein!
Die Dokumentationspflicht könnte für höhere Gehaltsstufen aufgehoben werden bzw. die
Grenzen gesenkt werden. Aber auch für diese Maßnahme sollten wir erst einmal ein Jahr lang
sehen, wie sich die bürokratische Belastung tatsächlich entwickelt. Es wird nicht immer alles so
heiß gegessen wie es gekocht wird.
Auf der Tariftreue-Landkarte der Hans-Böckler-Stiftung ist Schleswig-Holstein das einzige Land,
das die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an einen Lohn jenseits der 9-Euro-Grenze ansiedelt.
Nordrhein-Westfalen liegt bei 8,85€, Rheinland-Pfalz bei 8,90€; alle anderen Bundesländer
haben den Mindestlohn von 8.50€ in ihren Tariftreue-Regelungen. Alle, bis auf Bayern und
Sachsen, die beide meinen, ganz ohne Tariftreue auskommen zu können. Schleswig-Holstein hat
mit 9,18€ bundesweit einen hohen sozialen Standard erreicht, den wir verteidigen sollten.
Die Landesregierung steht im Dialog mit den Betrieben und ist bemüht, Belastungen zu
minimieren. Hinter dem Kulissendonner der Lobbyverbände besteht nämlich tatsächlich Bedarf
an vereinfachten Verfahren, zum Beispiel in der Baubranche. Dort gefährden mehrstufige 3
Genehmigungsverfahren, die sich über Monate hinziehen, die Verwirklichung eines
Bauvorhabens und damit echte, handfeste Arbeitsplätze. Hier sind die Kommunen gefragt, die
auch schon viele Erleichterungen geschaffen haben. Auch die Landesregierung kann hier einiges
bewegen.
Von einer so genannten Bürokratiebremse nach dem Motto: „Eins rein – Eins raus“ halte ich gar
nichts. Sie ist eine Selbstverpflichtung, wonach jedes Ministerium im gleichen Maße, in dem es
durch neue Regelungen Belastungen für die Wirtschaft aufbaut, an anderer Stelle Belastungen
abbaut. Wenn man es aber mit dem Bürokratieabbau ernst nimmt, müssten alle entbehrlichen
Belastungen für die Wirtschaft abgebaut werden, unabhängig davon, ob eine neue Belastung
dazu kommt.