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16.07.15
15:55 Uhr
SSW

Jette Waldinger-Thiering: Wir wünschen eine Hochschule, die die Verschiedenheit lebt und lehrt

Presseinformation Kiel, den 16. Juli 2015

Es gilt das gesprochene Wort



Jette Waldinger-Thiering TOP 11 Änderung des Hochschulgesetzes Drs. 18/3156

Wir wünschen eine Hochschule, die die Verschiedenheit lebt und lehrt


Es tut sich etwas an den Hochschulen Schleswig-Holsteins. Letzte Woche hat der
Koalitionsausschuss grünes Licht für Mehrausgaben für die Hochschulen gegeben. Sie
sind nämlich seit Jahren chronisch unterfinanziert und benötigen dringend eine
bessere Grundausstattung. Genau das hat der Koalitionsausschuss vereinbart. Das ist
ein Schritt in Richtung eines umfassenden Hochschulausbaus.
Dazu gehört auch das Hochschulgesetz, das wir heute diskutieren.
Das Hochschulgesetz ist ein großer Wurf. Es stellt die Weichen für eine nachhaltige
hochschulpolitische Entwicklung in Schleswig-Holstein. Vorausgegangen ist eine
intensive Vorarbeit, bei der die bestehenden Strukturen analysiert wurden. Man muss
nämlich erst einmal sicheren Grund haben, auf dem man aufbauen kann. In der
Hochschulpolitik ist ein politischer Schnellschuss das reinste Gift, weil damit
Ressourcen verschenkt werden. Von Anfang an haben wir darüber hinaus darauf 2
geachtet, die Hochschulen selbst in den Gesetzgebungsprozess einzubinden. Mein
Dank gilt dabei vor allem der Ministerin und dem Staatssekretär Rolf Fischer, der
unermüdlich mit Hochschulbeschäftigten, Studierenden und allen Präsidien Gespräche
geführt hat und dem es immer wieder gelungen ist, auch vermeintlich anspruchsvolle
Akteure an einen Tisch zusammen zu bringen. Hinter den Kulissen haben wir auf diese
Weise sehr viel bewegen können. Die Bereitschaft zur Kooperation ist nicht
selbstverständlich, denn oftmals haben die Hochschulen erlebt, dass sie nur von der
Landespolitik eingeladen werden, um bereits Beschlossenes abzunicken. Der Prozess,
der dem Entwurf von SPD/ Grünen und SSW vorangegangen ist, war dagegen offen,
was bei allen Hochschulakteuren ausgesprochen gut ankam.
Vor allem in Sachen Praxistauglichkeit waren die Gespräche mit den Experten in
eigener Sache zielführend. Die Chance, die in den sehr kurzen Wegen in Schleswig-
Holstein begründet ist, haben wir genutzt. Und ich muss sagen, es hat auch Spaß
gemacht. Wir haben gelernt, dass Geld allein eben nicht reicht, sondern dass es sich
lohnt, gemeinsam und ohne Schere im Kopf über starke Strukturen nachzudenken.
Das gilt insbesondere für die Fachhochschulen in Schleswig-Holstein. Sie wurden in
der Vergangenheit wie Hochschulen zweiter Klasse behandelt. Dabei leisten sie
exzellente Forschung und Lehre. Die praxisbezogenen Fachhochschulen beweisen
tagtäglich ihre Leistungsfähigkeit und ihr hohes Niveau. So hat das Institut für
Windenergie der Fachhochschule Flensburg vor wenigen Tagen mit einer selbst
konstruierten Kleinwindanlage einen europaweiten Studenten-Wettbewerb
gewonnen. Das ist ein gutes Beispiel für die Hochleistungsfähigkeiten der
Fachhochschulen in unserem Land. Die Absolventen lernen, wie sie selbständig
forschen und konstruieren können und legen damit die Grundlage für ihre Karriere.
Darüber hinaus sichern sie damit den industriellen Kern unserer Wirtschaft, denn die 3
Windenergiebranche ist auf kluge Köpfe vor Ort angewiesen. Warum diesen jungen
Menschen in der Vergangenheit Steine in den Weg gelegt wurden, wenn sie
promovieren wollten, versteht wohl wirklich niemand. Fachhochschulabsolventen
berichten über regelrechte Betteltouren, wenn sie eine Promotion anstreben. Kein
Wunder, dass sich Viele von Ihnen eine Promotion schenken. So verschenkt man
allerdings dann Chancen fürs Land. Darum ist die Schaffung eines verlässlichen
Rahmens für die Promotionsverfahren ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das mit
dem vorliegenden Hochschulgesetz umgesetzt wird.
Es liegt im hochschulpolitischen Interesse, die willkürliche Trennung der
Hochschularten Universität und Fachhochschule mittelfristig zu beseitigen.
Großbritannien hat es in den 90er Jahren vorgemacht, als die dortigen
Fachhochschulen Universitätsrang erhielten. Man lebt inzwischen auf der Insel sehr
gut damit, nur noch Universitäten zu haben, die jeweils einen theoretischen und einen
praxisorientierten Teil anbieten. Wir hingegen verschenken enorme Synergien durch
Parallelstrukturen und Abgrenzungsgefechte. Das soll der Vergangenheit angehören.
Mit dem erweiterten Promotionsrecht schaffen wir ein wichtiges
Gleichstellungsmerkmal, dass der hohen Qualität der Arbeit unserer Fachhochschulen
in Schleswig-Holstein Rechnung trägt und zugleich die Zusammenarbeit zwischen
Fachhochschulen und Universitäten noch mehr stärkt.
Die Hochschulen leisten sich neben der Trennung in Theorie und Praxis noch einen
anderen Anachronismus: und zwar die Benachteiligung von Frauen in
Führungspositionen. Im letzten Jahr waren an den Universitäten des Landes 35
Personen habilitiert worden, unter ihnen lediglich acht Frauen, also etwa jede vierte.
Die letzte Statistik der Studienanfänger aus dem Jahr 2013 weist dagegen einen
Frauenanteil von 49% aus. Bis ganz nach oben verengen sich also die 4
Karrieremöglichkeiten von Frauen enorm. Die Hochschulen sind immer noch
Institutionen, die die Geschlechterungerechtigkeit fortsetzen. Darum freue mich
besonders über die Änderungen für die Gleichstellungsbeauftragten an den
Hochschulen. Denn mit einem gesetzlichen Widerspruchsrecht, das den Beauftragten
gewährt wird, setzen wir ein deutliches politisches Zeichen, dass wir als Politik nicht
länger gewillt sind, die Benachteiligung von Frauen einfach so hinzunehmen. Darüber
hinaus verankert das neue Hochschulgesetz die berufliche Absicherung nach der ersten
Wiederwahl für hauptberufliche Gleichstellungsbeauftragte. Das ermutigt Frauen, sich
dafür zu bewerben. Es ist eben kein Schleudersitz, der eine gehörige Portion
Selbstausbeutung verlangt, sondern ein starkes Amt mit klaren Vorgaben zu Personal
und Ausstattung. Damit wird dieses wichtige Amt an den Hochschulen gestärkt.
Die Universitäten haben Platznot, und zwar nicht nur in den Hörsälen, sondern auch in
den Laboren und Bibliotheken. An den Standorten muss schnellstens in neue Gebäude
investiert werden und in den Ausbau bestehender Gebäude. Die Studierenden müssen
bessere Studienmöglichkeiten erhalten, damit sie den internationalen Anschluss nicht
verpassen. Nicht zuletzt haben auch die Beschäftigten an den Universitäten Anspruch
auf solide Ausstattung.
Vernünftige Arbeitsverhältnisse betreffen natürlich auch die
Beschäftigungsperspektiven. Die Universitäten bieten dagegen auch exzellenten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lediglich Zeit- und Teilzeitverträge an –
und das manchmal über Jahre. Diese Situation bietet keine Perspektiven. Hier müssen
wir am Ball bleiben, um eine Verbesserung zu erreichen. Die Hochschulen erhalten mit
dem neuen Gesetz den klaren Auftrag, sich für gute Beschäftigungsverhältnisse
einzusetzen und einen verbindlichen Verhaltenskodex zu verfassen. 5
Mehr Autonomie im Bereich der Bauherrentätigkeit ist von den Hochschulen gefordert
worden, der die HSG Novelle zeigt auch diesem Punkt Bewegung.
Meiner Ansicht nach kann die Bauplanung und Bauaufsicht bei den Hochschulen vor
Ort angesiedelt sein, damit der Sanierungsstau schneller aufgelöst werden kann. Die
Anhörung wird sicherlich auch in diesem Punkt zeigen , wie die Bauherrentätigkeit
strukturiert werden kann, damit alle Hochschulen im Lande davon profitieren.
Gemeinsam mit der GMSH ,dem Finanzministerium und dem
Wissenschaftsministerium muss ein gangbarer Weg gefunden werden.
Bei dem Stichwort Eigenständigkeit möchte ich auf den Wunsch der Europa Universität
Flensburg eingehen, Beginn und Ende der Unterrichtszeiten in die eigene
Verantwortung zu übernehmen. Sie alle kennen den entsprechenden Brief der
Universitätsleitung. Die Semesterzeitenüberschneidungen zwischen der Syddansk
Universitet und der Europauniversität verursachen Asymmetrie und erschweren die
internationale Mobilität von Lehrenden und Studierenden. Das Kursangebot mit der
dänischen Seite kann nur durch das weit überdurchschnittliche Engagement der
Lehrenden und Studierenden koordiniert werden. Das muss geändert werden.
Schließlich ist der Hochschulkalender nicht in Stein gemeißelt, nur weil man das schon
immer so handhabt. Tatsächlich kann er geändert werden – auch in Deutschland.
Meines Wissens macht die Hochschule der Bundeswehr gute Erfahrungen mit
Trimestern und auch die Mannheimer Universität. Internationaler Standard sind die
Dreimonats-Semester sowieso schon lange. Allerdings hat sich die Flensburger
Universitätsleitung gegen Trimester ausgesprochen, sondern favorisiert individuelle
Lösungen. Ich denke, diese Freiheit sollten wir der Europauniversität unbedingt
zubilligen. 6
Zum Schluss möchte ich auf die Mitbestimmungsechte der Studierenden eingehen, ich
davon überzeugt, dass wir mit dem zusätzlichem Rede- und Antragsrecht des Asta-
Vorsitzenden, das im Hochschulgesetz verankert ist, bereits einen richtigen Weg
einschlagen haben. Das ist ein konstruktiver Weg, damit die Studierenden ihre
Interessen vorbringen können. Der Senat einer Universität stellt die Weichen für die
Entwicklung und fungiert wie ein Parlament der Universität. Die Studierenden wollen
hierbei nicht nur Zaungäste sein, denn schließlich sind sie es, die Fehlentwicklungen
ausbaden müssen. Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch deutlich machen, dass es
nicht um Mehrheiten geht. Kein Senat kann langfristig die Interessen einer Gruppe, sei
es der Beschäftigten, der Lehrenden oder eben der Studierenden dauerhaft ignorieren.
Vielmehr verstehe ich die Entscheidungsprozesse als gemeinsames Ringen, bei der
keine Seite die andere niederstimmt. Vernünftige Argumente sollten sich durchsetzen
lassen; gerade an einer Hochschule. Deshalb fordert der SSW so viel Mitbestimmung
für die Studierenden, wie es das Grundgesetz zu lässt .
Damit komme ich zu einem Wunschtraum: eine Hochschule nämlich, die die
Verschiedenheit lebt und lehrt. Fachlich haben wir es mit dem Terminus Diversity zu
tun. Der nicht übersetzte englische Begriff gibt bereits einen Hinweis darauf, dass sich
deutsche Institutionen schwer tun, soziale Vielfalt konstruktiv zu nutzen. Realität ist:
Männer stellen Männer ein, Nicht-Behinderte Nicht-Behinderte, und so weiter.
Dagegen sollte es das Ziel sein, die Verschiedenheit der Beschäftigten anzustreben,
weil sich das für die Universität auszahlt. Verschiedenheit und Anerkennung von
Minderheiten entwickeln jede Institution weiter und tun ihr einfach gut. Darum ist
Diversity ausdrücklich im Gesetz verankert. Der Landtag sollte die Entwicklung
beobachten und gegebenenfalls nachsteuern, wenn sich zeigt, dass Diversity eben
nicht nach Ehrenamtlichkeit, sondern nach Professionalität verlangt. 7
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das neue Hochschulgesetz den
Studienstandort Schleswig-Holstein weiter stärken wird. Unsere Hochschulen erfreuen
sich wegen ihrer Vielfalt und guten Angebote einer großen Beliebtheit gerade auch bei
ausländischen Studierenden. Unter den Studienanfängern hatten im Studienjahr elf
Prozent die Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben. Darüber freue ich
mich sehr, dass der gute Ruf unserer Hochschulen weit über die Landesgrenzen reicht.
Der echte Norden ist eben ein guter Platz für die Wissenschaft.