Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
06.06.17
11:47 Uhr
Landtag

Antrittsrede von Landtagspräsident Schlie: Wandel verantwortungsvoll gestalten, Konsens und Zusammenhalt der Gesellschaft stärken

Nr. 110 / 6. Juni 2017

Antrittsrede von Landtagspräsident Schlie: Wandel verantwortungsvoll gestalten, Konsens und Zusammenhalt der Gesellschaft stärken
Die Rede von Parlamentspräsident Klaus Schlie anlässlich der Konstituierung des Schleswig-Holsteinischen Landtages der 19. Wahlperiode im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Alterspräsident Kubicki, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Vertrauen, das Sie mir mit der Wahl zum Landtagspräsidenten ausgesprochen haben. Für einen Landtagspräsidenten ist es sehr wichtig, dass seine Arbeit von einer breiten Mehrheit der Abgeordneten getragen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen allen gratuliere ich zur Wahl und zur Annahme Ihres Mandates. Wir bilden nun gemeinsam den 19. Schleswig-Holsteinischen Landtag. Unter uns befinden sich auch neue Kolleginnen und Kollegen, die ich ganz besonders herzlich begrüße.
Meine Damen und Herren, die schleswig-holsteinischen Wählerinnen und Wähler haben über die Zusammensetzung des 19. Landtages entschieden und mit dieser Entscheidung ist zugleich der Auftrag an alle Mitglieder dieses neu gewählten Parlaments verbunden, eine Regierung und damit zugleich auch eine Opposition zu bilden.
Es ist ein wesentliches, unabdingbares Merkmal der Demokratie, dass es diese beiden parlamentarischen Säulen gibt. Denn ohne Opposition gäbe es keine Demokratie. Und auch der durch die Wahlen herbeigeführte politische Wandel ist eine solche Grundbedingung für eine Demokratie.
Wahlen wiederum sind in einer Demokratie immer der sichtbarste Ausdruck der Lebendigkeit und des Willens eines Volkes, einer Gesellschaft, sich den ständig wandelnden zahlreichen Herausforderungen der Zeit aktiv zu stellen und sie zu meistern. Dass „nichts so beständig ist, wie der Wandel“ mag man als Binsenweisheit abtun – aus dem Blickwinkel einer demokratischen 2

Gesellschaft aber gewinnt diese Einsicht an Kontur: Denn nur die Demokratie ist es, die dieser Erkenntnis positiv und mit Gestaltungswillen begegnet.
Unter allen politischen Systemen der Vergangenheit und Gegenwart besitzt allein die Demokratie die Fähigkeit, aus gegensätzlichen Positionen heraus friedlich, kompromissbereit und im ehrlichen Bemühen um Konsens erfolgreiche Lösungen in der parlamentarischen Debatte auszuloten und schließlich in der parlamentarischen Entscheidung dann zum Wohle der gesamten Gesellschaft dann auch umzusetzen.
Schleswig-Holstein ist durch seine ausgeprägten historischen Bande nach Norden und Süden, durch seinen kulturellen Reichtum, der sich besonders deutlich in unseren Minderheiten und Volksgruppen ausdrückt, und durch seine besondere geographische Lange zwischen zwei Meeren in besonderem Maße immer ein Land gewesen ist – und es immer noch ist – an dem Gegensätze aufeinandertreffen.
Wir sind also, meine sehr geehrten Damen und Herren, Gegensätze und unterschiedliche Positionen und Sichtweisen gewohnt, sie prägen dieses Land und seine Menschen von jeher, sie sind vielleicht so etwas, wie das besondere Markenzeichen Schleswig-Holsteins, sie sind identitätsstiftend für die Menschen. Dass so etwas bereichern kann, dass unterschiedliche Perspektiven im wahrsten Wortsinn eben auch immer neue Horizonte eröffnen und uns weiterbringen, das ist meine tiefe Überzeugung.
Lassen Sie mich das an einigen ganz aktuellen Beispielen verdeutlichen. Wir sind das führende Land in der Produktion alternativer Energien, wir sind ein echtes „Windkraftland“. Das ist das sichtbare Ergebnis eines langen und mit Blick auf die Klimaveränderungen und den Atomausstieg höchst notwendigen Prozesses des Umdenkens und Handelns. Diese ökologischen Aspekte müssen um ökonomische Aspekte ergänzt werden.
Wie können wir diese alternative Energie effizient weiterleiten, wie können wir sie unmittelbar und sinnvoll nutzen, am besten vor Ort, hier in Schleswig-Holstein? Diese ökonomischen Fragen sind kein Gegensatz zur ökologischen Grundidee der alternativen Energiegewinnung, sondern sie erweitern sie und führen sie auf eine neue und wie ich meine auch ertragreiche Ebene der Debatte. Diese Symbiose ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Eine Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Schleswig-Holstein verfügt in weiten Teilen über stark ländlich geprägte Räume, aber auch über einige urbane Ballungszentren – vor allem im Bereich der Metropolregion Hamburg. Beide Räume ziehen Menschen an: die Stadt bietet eine engmaschigere Infrastruktur und vielfältige kulturelle Möglichkeiten. Der ländliche Raum dagegen bietet mit seiner Natur und seiner besonderen sozialen dörflichen Struktur ebenfalls Anreize als attraktiver Lebens- und auch als Arbeitsort.
Damit hier beide zu unserem Land gehörenden Lebensräume nicht gegeneinander ausgespielt werden, muss es unser Ziel sein, die infrastrukturellen Defizite auf dem Land auszugleichen. Andererseits müssen aber auch unsere urbanen Räume lebenswerte Orte mit bezahlbarem Wohnraum und einem intakten soziale Gefüge bleiben oder in Teilbereichen wieder werden. 3

Den Ort, an dem wir gerne leben, wohnen und auch arbeiten, den empfinden wir in der Regel als das, was in der deutschen Sprache den so emotionalen Namen „Heimat“ trägt. Das ist ein schönes, ein verbindendes Wort, wenngleich es auch zu oft in unserer Geschichte missbraucht und falsch gedeutet wurde.
„Heimat“ im besten Sinne ist der Ort, an dem Menschen nicht nur leben – sondern wo sie auch gerne aktiv sind, wo sie sich ehrenamtlich engagieren, wo sie sich kommunalpolitisch einbringen und wo sie eine enge Verbundenheit mit anderen Menschen empfinden.
„Heimat“ aber ist kein abgeschotteter Raum, in dem die Zeit eingefroren ist und kein Wechsel und kein Wandel Platz hätten. Eine echte Heimat ist weltoffen, nicht ängstlich, weil sie den Menschen die Sicherheit und das Vertrauen gibt, dass notwendig ist, wenn man in die Zukunft und über den eigenen Tellerrand blickt.
Schleswig-Holstein ist in seiner Geschichte mehrmals neue Heimat für Flüchtlinge und auch für Migranten, für Menschen aus anderen Ländern und aus anderen Kulturkreisen geworden. Die Aufgeschlossenheit der Menschen in unserem Bundesland, unsere Weltoffenheit und der in unserem Land besonders ausgeprägte Wert der gelebten Humanität haben immer dazu geführt, dass aus anfänglich Fremden heimatverbundene Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig- Holsteiner wurden – und das ist identitätsstiftend für das Land zwischen den Meeren.
Es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Ein übertriebenes Bedürfnis nach Sicherheit wiederum darf aber nicht dazu führen, dass wir unser wichtigstes demokratisches Gut, nämlich die persönliche Freiheit und die mit ihr verbundenen, verfassungsmäßigen garantierten Freiheitsrechte übermäßig einschränken oder gar aufgeben.
Andererseits müssen wir uns als demokratische Gesellschaft gegen Intoleranz und Angriffe auf unsere Werte und Normen wehren, wir müssen unmissverständlich dafür einstehen, dass Menschen nur dann in Freiheit leben können, wenn es auch Kräfte gibt, die bereits sind, sie vor den Feinden der Freiheit zu schützen.
Gerade das Einhalten der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit erfordert eine ausgewogene parlamentarische Debatte und argumentativ begründete Entscheidungen. Das Schüren von Angst, Hass oder Intoleranz sind keine Grundlage für derartige Entscheidungen. Populismus ist immer ein schlechter Ratgeber.
Meine Damen und Herren, Ökonomie und Ökologie, ländlicher und städtischer Raum, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit, Freiheit und Sicherheit – das sind für uns Demokraten keine Gegensätze.
Das sind vielmehr Perspektiven, die Fragen und Herausforderungen für die Zukunft unserer Gesellschaft betreffen, die wir nur dann erfolgreich beantworten und meistern werden, wenn wir jeweils beides berücksichtigen, für beide Seiten ein Ohr und auch eine Stimme haben und dann zu rationalen Lösungen gelangen, die ausgewogen sind und von einem möglichst breiten demokratischen Konsens – in diesem Haus und auch in der gesamten Gesellschaft – getragen werden. 4

Ich gebe zu, dass das keine immer leichte Aufgabe ist. Die Akzeptanz von politischen Entscheidungen, die konsensorientiert sind, setzt voraus, dass auch gegensätzlichen Meinungen anerkannt, gehört und auch berücksichtigt werden. Das ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie.
Mit anderen Worten: Demokratie bedingt Zusammenhalt und Konsens. Beides aber ist in einer freien Gesellschaft immer das Ergebnis eines ständigen Austausches von Argumenten und Positionen. Dieser findet zwar auf einem festen und unverrückbaren Fundament statt, nämlich im Rahmen unserer Verfassung. Die demokratische Entscheidungskultur aber kennt keinen Stillstand und sie kennt keine Angst vor der Veränderung und dem Wandel.
In einer parlamentarischen Demokratie ist der Abgeordnete von den Wählerinnen und Wählern damit beauftragt, diesen Wandel an entscheidender Stelle verantwortungsvoll zu gestalten und dabei zugleich immer auch nach Konsens und Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft zu suchen. Es ist ganz entscheidend unsere Aufgabe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese wichtigen Prinzipien in unserer parlamentarischen Arbeit zu beherzigen und auch vorzuleben.
Der 19. Schleswig-Holsteinische Landtag steht vor großen Herausforderungen. Ich habe versucht, einige dieser Herausforderungen zu benennen.
Aber ganz gleich, zu welchem Punkt wir hier im Plenum debattieren und zu Lösungen kommen werden – eine wichtige Aufgabe, die vielleicht wichtigste Aufgabe unserer Zeit – wird es sein, den Bürgerinnen und Bürgern in Schleswig-Holstein durch unsere Arbeit zu dokumentieren, dass wir Politik nicht an ihnen vorbei gestalten.
Dazu müssen wir als Abgeordnete noch verstärkter als bisher den Kontakt suchen, wir müssen zu Veranstaltungs- und Vermittlungsformen kommen, die den Menschen erklären, wie eine parlamentarische Demokratie funktioniert und welche Bedeutung dem persönlichen Engagement eines jeden einzelnen zukommt. Die Weiterentwicklung der Partizipationsmöglichkeiten, der unmittelbaren Teilhabe an der Gestaltung unseres Gemeinwesens ist eine weitere, große Aufgabe der nächsten fünf Jahre.
Zusammenhalt und Konsens in einem Parlament allein, das bringt eine demokratische Gesellschaft nicht entscheidend voran. Zusammenhalt und Konsens – nicht in Einzelfragen, aber mit Blick auf Grundsätzliches –, muss es vor allem unter den Menschen in Schleswig-Holstein geben.
Das also ist die große Herausforderung unserer Zeit, das ist die Herausforderung, für dieses Parlaments und jeden einzelnen von uns.
Ich möchte Sie in diesem Sinne bitten, dass wir die 19. Legislaturperiode des Schleswig- Holsteinischen Landtages in diesem Sinne gemeinsam gestalten: sachlich und engagiert in der Debatte, offen für die Positionen des anderen, konsens- und lösungsorientiert in den Entscheidungen und immer mit dem Blick für das Wohl aller Menschen in unserem Land.
Gott schütze unser Schleswig-Holstein!