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11.10.17
12:29 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Regierungserklärung zu 100 Tagen Jamaika-Koalition

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort. Schleswig-Holstein TOP 2 – Regierungserklärung zum Pressesprecherin Arbeitspaket der Landesregierung Claudia Jacob Landeshaus Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende von Düsternbrooker Weg 70 Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Eka von Kalben: Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 283.17 / 11.10.2017
Jamaika baut Brücken
Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident für Ihre Rede!
Sie macht mir Mut, weil sie ein Gespür dafür beweist, vor welchem gesellschaftlichen Problem wir im Land und in ganz Deutschland aktuell stehen. Ich wünsche mir sehr, dass Sie damit auch die Menschen im Land erreichen.
Sie treffen dafür den richtigen Ton: Sachlich, mit einem offenen Wort, dem Willen zur Veränderung und gleichzeitig einem realistischen Blick auf die Dinge. Ihre Worte ma- chen uns Grünen Mut, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, uns diesem Bündnis in Schleswig-Holstein mit aller Ernsthaftigkeit zu stellen.
Die CSU södert rum und Seehofer pöbelt von Rechtsaußen. Ein Pfeifen im Walde an- gesichts des massiven Wahlverlusts der CSU in Bayern. Ich verstehe das schon: Wer alles zu verlieren hat, muss die Trommel umso lauter schlagen. Aber irgendwann ist die Trommel auch kaputt geschlagen.
Kein einziger konstruktiver Ton in dieser Kakophonie. Welch ein Unterschied zum Stil und Sound unserer Jamaika-Koalition. Wir stellen uns der Verantwortung mit Ruhe und Leidenschaft und entlang der realen Probleme.
Deshalb drei Sätze zu der Debatte über Obergrenzen und der Einigung zwischen CDU und CSU:
1. Die CSU erkennt die deutsche Verfassung an, nach der es keine Obergrenze für Menschen die verfolgt werden oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention um Hilfe bitten, geben kann. Das ist gut aber eigentlich selbstverständlich.
2. Dass ich eine Selbstverständlichkeit loben muss, zeigt das ganze Drama. „Herr- schaft des Unrechts“ hat Seehofer Merkels Politik genannt. Und das ganze wurde Seite 1 von 5 ausgeräumt durch zwei dünne Seiten. Und die waren erst nach der Wahl möglich? Unglaublich. Der Streit von Seiten der CSU hat das Geschäft der AfD besorgt. 3. Lässt man das Grundgesetz unangetastet, bleiben als Stellschraube nur der Famili- ennachzug und humanitäre Kontingente. Auf die aber haben wir Grüne immer ge- drungen. Sie sind wichtig für eine gelingende Integration und um den Schleusern das Handwerk zu legen, bzw. den Tod im Mittelmeer durch Ertrinken zu reduzieren.
Das Unionspaket ist nicht unser Paket und wird nicht das letzte Wort sein.
Und erlauben Sie mir noch einen Hinweis in staatsbürgerlicher Verantwortung: Mir ist es völlig unverständlich, wie bereits jetzt schon orakelt werden kann, die Verhandlungen könnten sich notfalls auch bis 2018 ziehen.
Als hätten die Krisen der letzten Jahre nicht gelehrt, dass diese jederzeit um die Ecke gebogen kommen und nicht erst darauf warten, ob die CDU sich gründlich mit ihrer Wahlniederlage befasst hat.
Wir brauchen eine Regierung und wir brauchen sie bald. Alles was wir jetzt haben, ist eine geschäftsführende mit der Hälfte der MinisterInnen, die gedanklich schon in die to- tale Opposition gegangen sind. Alle reden von Jamaika, faktisch haben wir Niederlande.
Die Fahrlässigkeit, mit der hier auf Zeit gespielt wurde, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Verhandlungen selbst ja schon schwierig und lang genug werden. Man wird sie eben nicht in netto zweieinhalb Wochen durchziehen, wie wir es in Schleswig-Holstein getan haben.
Und noch ein Wort zur Bundes SPD nach der Wahl: Ich finde es richtig, dass sie in die Opposition geht. Die große Koalition kann immer nur eine Ausnahmeregierung sein. Al- lerdings, Kollege Stegner, passt Ihre Häme zum Verhalten der SPD null zusammen.
Sich in die Opposition zu verabschieden ist wie gesagt ok. Die Grünen dafür anzuge- hen, dass wir bereit sind zu sondieren, ist absurd.
Die Lage ist ernst. Die tektonische Plattenverschiebung der Bundestagswahl müssen alle erst einmal verdauen. Wir müssen uns der gesellschaftlichen Herausforderung trotzdem stellen.
Die Fliehkräfte aus der Mitte an den Rand des politischen Spektrums sind enorm. Die Aufgabe für uns alle, ein Angebot im demokratischen Rahmen, vielleicht sogar in der demokratischen Mitte zu machen, ohne die Unterscheidbarkeit einzubüßen ist nicht leicht.
Wir wagen neue Bündnisse. Die Erfahrung in Schleswig-Holstein zeigt, dass es gelin- gen kann, wenn jeder seinen Tanzbereich bekommt, seine Luft zum Atmen behält. Denn die brauchen wir, damit wir nicht in Beliebigkeit und Austauschbarkeit verfallen. Bundes-SPD und Bundes-FDP können vom Engtanz mit der Union ein Liedchen sin- gen. Zu wenig Platz zum Atmen und für meinen Geschmack zu lahmer Rhythmus.
Und bei aller Unterschiedlichkeit der Parteien braucht es eine gemeinsame Story, einen gemeinsamen Rahmen. Und da gebe ich allen KritikerInnen Recht, dafür reicht es dann nicht ein bisschen was zur Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie aufzuschreiben. Obwohl das natürlich wichtig ist. Die gemeinsame Story ist viel mehr, wenn wir jeden

2 Tag aufs Neue einen Satz an den nächsten reihen, der dann irgendwann zu einer ge- meinsamen Story wird. Der Weg nach Jamaika ist weit, aber er beginnt wie immer mit einem ersten Schritt, die Gemeinsamkeiten zu finden. Eine Erzählung zu beginnen, wie bei dem alten Kinder- spiel, bei dem jedes Kind einen Satz hinzufügt.
Natürlich gibt es die Dampfplauderer, die immer dazwischen quatschen, auch wenn sie nicht an der Reihe sind und nicht jeder Satz führt die Geschichte stringent fort. Aufgabe von Ministerpräsidenten - und möglicherweise Kanzlerinnen - ist es dann, den Horizont wieder in den Blick zu nehmen und den Kurs der Geschichte zu halten.
Für Jamaika gingen vor kurzem die ersten 100 Tage Regierung zu Ende. Für uns Grü- ne waren es die Tage 1825-1925. Und in der Tat sehen wir uns auch in der Kontinuität dessen, was in der letzten Legislatur gut gemacht wurde. Schade, dass das die SPD nicht sieht. Ich bin immer für eine harte Debatte zu haben. Aber gern im Stil des Minis- terpräsidenten, sachlich.
Und so ist Jamaika eben nicht die Rückkehr zur eher sozial unterkühlten Politik der Re- gierung vor 2012. Lesen Sie doch mal den Koalitionsvertrag aufmerksam. Ganz böse Zungen behaupten, mehr hätten Grüne mit der SPD auch nicht verhandeln können. Das will ich einmal unkommentiert stehen und wirken lassen.
Wir haben für den Koalitionsvertrag jedenfalls viel Lob erhalten. Vergleichen Sie auch gerne mal mit dem Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen. Nichts zu Biodiversität, nichts zu einem Frackingverbot, kein Einstieg in die Verkehrswende, etc..
Und: Wir Grüne müssen uns mitnichten in die neoliberale Ecke stellen lassen. Kollege Stegner kritisiert ja, dass er in den ersten 100 Tagen nichts zum sozialen Wohnungsbau oder zur Mietpreisbremse gehört hat.
Herr Stegner war nach der Bundestagswahl vielleicht noch zu sehr anderweitig be- schäftigt. Jedenfalls hätte er sonst eventuell mitbekommen, dass Herr Minister Grote sich überaus deutlich am 27. September zum sozialen Wohnungsbau geäußert hat. Und zwar genau so, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben: Wir führen das 2015 aufgelegte Programm zum sozialen Wohnungsbau konsequent fort.
Just in besagter Woche nach der Bundestagswahl gingen vier Millionen Euro nach Sankt Peter-Ording. 30 geförderte 1- und 2 Zimmer-Wohnungen mit einer Mietpreisbin- dung von 5,65 Euro pro Quadratmeter.
Und wenn Sie jetzt sagen, dass sei nichts Neues, dann frage ich mich: Ist es deshalb falsch?
Mit dem Koalitionsvertrag haben wir eine solide Leistung geliefert. Und danach hat der Morphofalter, der vorne auf unserem Vertrag zu sehen ist, sich nicht verpuppt und seine Larven gefressen – wie spitze Zungen geunkt haben – , sondern mit der Arbeit begon- nen.
Die Herren Stegner und Harms sind sich in der Kritik ja einig, es hätte mehr Dynamik sein können.
Das sind die üblichen Rituale. Zitat: „Die neue Landesregierung in Kiel hat in ihren ers- ten 100 Tagen Substanz- und Perspektivlosigkeit offenbart.“
3 Wer hat‘s gesagt? Das ist die dpa-Meldung vom 18. September 2012. Nahezu wort- gleich zu der Pressekonferenz von Dr. Stegner 2017, führte damals Wolfgang Kubicki in seiner Presseerklärung gemeinsam mit Dr. Garg aus, dass man gar nicht erwarte, dass der gesamte Koalitionsvertrag abgearbeitet werde, aber man dürfe wenigstens Auskunft dazu erwarten, wo die Reise hingeht.
Nachdem sich die damalige Opposition beschwerte, dass Politik nicht darin bestehen könne, alte Beschlüsse zurückzunehmen, ist es der Opposition nun nicht recht, wenn nicht der ganz große neue Aufriss erfolgt.
Freuen Sie sich doch! Wir finden es richtig und haben uns sehr dafür eingesetzt, dass nicht alles auf null gesetzt wird!
Ihre Kritik, Herr Harms, Herr Stegner, ist doch schizophren. Einerseits mehr Dynamik fordern, andererseits zu viele Änderungen kritisieren.
Aber bitte, zu der Politik gehören auch die Rituale. Man muss sich ihnen ja nicht voll- ends unterwerfen. Mir ist das zu Retro, ich schaue lieber nach vorn. Denn 100 Tage mögen rum sein, uns bleiben noch 4 Jahre und 265 Tage, um unser Land zu gestalten und unsere Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Wir Grüne werden dazu unseren Bei- trag leisten.
Wir werden die Chancen der Energiewende zu einer neuen wirtschaftlichen Kraft und ökologischen Transformation nutzen.
Wir werden den Konflikt zwischen Naturschutz und Landwirtschaft weiter aussöhnen und in Schleswig-Holstein zum Wohle der Natur und der Landwirte neue Wege entwi- ckeln durch Ökolandbau, Vertragsnatur- und Tierschutz. Stabiles Einkommen für unse- re Bäuerinnen und Bauern jenseits des Zwangs zur Industrialisierung!
Wir werden Böden, Gewässer und Meer vor Nitrat und Mikroplastik schützen, vor Hor- monen und Medikamenten.
Wir werden nach Krümmel und Brunsbüttel auch die Brennelementefreiheit von Brok- dorf in Angriff nehmen.
Wir werden den Stromnetzausbau mit Elan und Hochdruck zu Ende bringen. Und das sind nur die Beispiele aus einem Politikbereich. Keine Angst, ich werde den Koalitions- vertrag jetzt nicht aufzählen. Trotzdem zeigt schon allein die Vorstellung der Eckwerte des letzten Tages durch unsre Finanzministerin Frau Heinold, dass wir viel vorhaben und viel für dieses Land erreichen werden.
Dass das nicht planlos geht und gehen sollte, finde ich richtig, und deshalb sind die vergangenen 100 Tage auch genau richtig genutzt worden.
Dafür, dass Teile der alten Regierung und der ehemaligen Opposition gemeinsam an einem Tisch sitzen, würde ich sagen: läuft.
Wenn selbst Politikwissenschaftler Jamaika bescheinigen, dass ideologische Gräben und Lagerdenken überwunden werden ist mein Fazit, dass wir in den letzten 100 Tagen ganz schön viel erreicht haben.

4 Ich zitiere – mit Genehmigung des Präsidiums – Dr. Wilhelm Knelangen:
„Was man vom Kieler Beispiel lernen kann, ist, dass ernsthaftes Bemühen und die Be- reitschaft zum Geben und Nehmen eine Grundlage für ein Regierungsbündnis sein kann.“
Es sind Brücken, die wir zueinander bauen. Brücken, die vielleicht dabei helfen können, auch manche Gräben in unserer Gesellschaft zu überwinden. Manchmal ist es nur eine wacklige Planke, die wir über ein schmales Rinnsal legen. Manchmal sind es etwas so- lidere Brücken, die wir versuchen, Stein auf Stein zusammen zu fügen.
Klar, es ist für Grüne ungewohnt, im CDU-Fraktionssaal unter Kreuz und Adenauer zu sitzen. Aber es entsteht etwas Neues, wenn wir dort mit einem wirtschaftsliberalen Pro- fessor aus der Schweiz die Idee des Grundeinkommens und der Bürgerversicherung diskutieren.
Dafür müssen sich beide Seiten bewegen und aufeinander zugehen. Und es ist ein schwerer Gang, denn es kann keine Bewegung ohne Veränderung geben und es ist ein Balanceakt dabei die eigene Haltung nicht aufzugeben, für die wir gewählt worden sind. Aber wenn wir erreichen, dass wir im Aufeinander zugehen die Perspektive weiten, bei Gelegenheit auch einmal wechseln und unsere Haltung gleichzeitig bewahren ist schon etwas gewonnen.
In Schleswig-Holstein ist das in manchen Dingen schon gut gelungen, das hat für mich insbesondere die Debatte um den Familiennachzug im letzten Landtag gezeigt. Und wir erleben es auch als Grüne jeden Tag, dass wir uns auf einmal mit Themen neu und an- ders auseinandersetzen müssen.
In diesem Sinn kann Jamaika in SH tatsächlich eine Vorbildfunktion haben und gesell- schaftlich beispielgebend sein. Widerstreitende Meinungen nicht übergehen und eine gemeinsame Meinung formulieren, Rücksicht auf unterschiedliche Interessen und den- noch ein Gemeinwohl-Interesse formulieren. Andersheit und Anerkennung – das ist es, was Politik in Deutschland im Herbst 2017 insgesamt braucht.
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